Georgien hat gewählt – und indirekt über seine geopolitische Zukunft abgestimmt. Der prorussische Milliardär Iwanischwili und seine Partei „Georgischer Traum“ dürften nach vorläufigem Wahlergebnis die Macht behalten. Doch werden Opposition und das Volk das Ergebnis akzeptieren?

Als Bidsina Iwanischwili nach der Schließung der Wahllokale am Samstagabend vor die Kameras des Staatsfernsehens trat, lächelte er wie ein Sieger. Der Milliardär und Gründer der Regierungspartei „Georgischer Traum“, sprach von einem, „Erfolg“. Er dürfte die Macht in der kaukasischen Republik behalten. Iwanischwilis Anhänger feierten kurze Zeit nach seiner Rede mit Autokorsos den Sieg ihres Idols.

Die Wahl wurde überschattet von Berichten über Wahlmanipulationen bis hin zum Stimmenkauf und tätlichen Angriffen gegen Oppositionelle. Besonders in von Minderheiten wie Armeniern und Aserbaidschanern bewohnten Wahlbezirken war das Ergebnis der Iwanischwili-Partei laut Wahlkommission hoch – und dort häuften sich auch die Berichte über Manipulationen. Am Wahlabend lieferten Demoskopie-Institute widersprüchliche exit polls. Den Sieg Iwanischwilis prognostizierte nur eine Befragung. Doch der Milliardär ließ sich davon nicht stören.

Nach Auswertung der Wahlergebnisse aus 85 Prozent der Bezirke kam seine Partei laut Mitteilung der Wahlkommission vom Sonntagmorgen auf 54 Prozent der Stimmen, hat also mit 89 von 150 Sitzen eine robuste Mehrheit im Parlament.

Der erste Gratulant ließ nicht lange auf sich warten. Ungarns Premier Viktor Orbán sprach noch am Samstagabend bei X von einem „überwältigenden Sieg“ der Regierungspartei.

Der Zuspruch Orbáns ist nicht verwunderlich. Unter Iwanischwili, der das Land hinter den Kulissen seit 2012 regiert, entwickelte sich Georgien vor allem in den letzten Jahren zu einer „illiberalen Demokratie“ nach dem Geschmack des großen ungarischen Populisten – und dem Wladimir Putins. Nach Orbán gratulierte Margarita Simonjan, Chefin des russischen Propagandasenders RT.

Der „Georgische Traum“ hat Georgien innenpolitisch auf einen autoritären Kurs und außenpolitisch in Russlands Orbit gebracht. Und diese Entwicklung wollte Iwanischwili sichern.

Massenproteste gegen das „Agentengesetz“

Die regierende Partei hatte einen bombastischen Wahlkampf geführt und sich aus der rechtspopulistischen Werkzeugkiste bedient. Die Opposition? „Handlanger fremder Mächte“, hieß es. Sie könnte nach dem Wahlsieg verboten werden, sollte man die dazu nötige konstitutionelle Mehrheit erringen. Sexuelle Minderheiten? Eine Bedrohung für „traditionelle Werte“, so die Regierungspartei.

Trotz Massenprotesten, die teils zehntausende Menschen auf die Straße brachten, setzte sie ein „Agentengesetz“ nach russischem Vorbild durch, das zivilgesellschaftliche Organisationen mit ausländischer Finanzierung praktisch zu Landesverrätern abstempelt. Ein anderes Gesetz verbot Gay-Pride-Paraden und legte den Grundstein für eine Medienzensur, die sich gegen sexuelle Minderheiten richtet.

Schon vor der Wahl lösten diese Vorhaben eine Eiszeit mit Washington und Brüssel aus. Die EU, die Georgien im Dezember 2023 den Kandidatenstatus gewährte, ging auf Distanz. Iwanischwili ließ es darauf ankommen.

Seinen Mitbürgern verkündete er: Bei der Wahl gehe es darum, die „globale Partei des Krieges“ daran zu hindern, Georgien in den Konflikt mit Russland hineinzuziehen, wie angeblich im Fall der Ukraine geschehen. Georgien und Ukraine seien für die „Partei des Krieges“ nur „Kanonenfutter“.

Russland ist wichtig für Georgiens Wirtschaft

Solche Botschaften fielen in dem kleinen kaukasischen Land mit seinen 3,7 Millionen Einwohnern auf fruchtbaren Boden: Lieber das Narrativ von einer Weltverschwörung akzeptieren, als sich in Gefahr zu begeben. Die Erinnerungen an Russlands Invasion vor 16 Jahren und Georgiens schnelle Niederlage sind noch frisch. Die illiberalen Gesetze wiederum sprachen die große christlich-konservative Wählerschicht an.

Das Versprechen einer Normalisierung mit Russland kam laut Umfragen einen großen Teil der georgischen Gesellschaft entgegen. Weinexporte nach Russland bleiben eine große Einkommensquelle für viele Georgier, genau wie der russische Massentourismus.

Russland ist ein Feind, der Weg soll Georgien in die EU und in die Nato führen. Aber den mächtigen Nachbarn wird man nicht los. Diese zwiespältige Haltung nutzte Iwanischwili aus. Zuletzt wurden die diplomatischen Beziehungen zu Russland zwar nicht wiederhergestellt, aber Direktflüge wiederaufgenommen, trotz des Aufschreis der Opposition.

Mehr noch, in einer Rede im September stellte Iwanischwili sein Land als einen Aggressor im Krieg von 2008 dar, dafür sei die Vorgängerregierung des heute inhaftierten Micheil Saakaschwili verantwortlich – und seine Partei „Vereinte Nationale Bewegung“. Die abtrünnigen Provinzen Abchasien und Südossetien, heute faktisch russische Protektorate, möchte er friedlich zurückholen und gemeinsam der EU beitreten.

Russland revanchierte sich wenige Wochen vor der Parlamentswahl mit einer Liberalisierung des Visa-Regimes für Georgier. Das Phantom der Rückkehr der besetzen Gebiete, die die seit Anfang der 1990er-Jahre nicht von Tiflis kontrolliert werden, entfaltete im Wahlkampf eine große Wirkung. Dass Russland sie zurückgeben könnte, gilt dennoch als unwahrscheinlich. Die militarisierten russischen Vorposten sind eine ständige Bedrohung für Tiflis, die Moskau nicht so bald aufgeben wird.

Der Sieg Iwanischwilis – sollte die Endergebnisse ihn hergeben – wäre nicht nur ein Erfolg seiner populistischen Strategie, sondern auch eine Niederlage für die Opposition. Diese konnte sich, trotz Engagements prominenter Figuren wie der Staatspräsidentin Salome Surabischwili, nicht zu einem einheitlichen Wahlbündnis durchringen.

Stattdessen traten gegen den „Georgischen Traum“ drei Wahlallianzen an, angeführt von teils untereinander verfeindeten Politikern. Im Falle des Wahlsiegs versprachen sie eine technokratische Regierung, die Rücknahme der repressiven Gesetze und Neuwahlen.

Bei vielen politikverdrossenen Georgiern kam diese Botschaft wohl nicht so gut an. Unzufriedenheit mit Iwanischwili resultiert nicht automatisch in Sympathie für die zersplitterte Opposition. Diese dürfte nun dennoch zu Massenprotesten aufrufen – in der Nacht auf Sonntag blieben sie aber aus.

Ob die Opposition das angebliche Wahlergebnis erfolgreich anfechten kann, ist ungewiss. Die georgische Wahlbeobachter-Allianz WeVote, die mit 2000 Beobachtern vor Ort war, sprach am Sonntag von einem „massiven System des Wahlbetrugs“. Tina Bokutschawa, Vorsitzende der Partei „Vereinte Nationale Bewegung“, kündigte an, zu „kämpfen wie nie zuvor.“

Wie es nun tatsächlich in Georgien weitergeht, wird nicht zuletzt von den Reaktionen des Westens abhängen.

Pavel Lokshin ist Russland-Korrespondent. Im Auftrag von WELT berichtet er seit 2017 über Russland, die Ukraine und den postsowjetischen Raum.

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