Es sei die Aufgabe von Premier Keir Starmer, Brüssel zu erklären, was er unter einer „Neustrukturierung“ der Beziehungen verstehe und nicht umgekehrt, so Sandro Gozi. Der EU-Abgeordnete aus Frankreich leitet zukünftig die Zusammenarbeit des EU-Parlaments und dem britischen Pendant.
Keir Starmer wurde im Juli zum neuen britischen Premierminister gewählt. Nach Jahren diplomatischer Spannungen zwischen der EU und Großbritannien, die durch das Brexit-Votum und die anschließenden Handelsverhandlungen ausgelöst wurden, kündigte er an, die Beziehungen „neu zu ordnen“.
„Ich freue mich, dass Starmer eine offene und konstruktive Haltung gezeigt hat und bereit ist, anzuerkennen, dass die Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien von strategischer Bedeutung sind“, sagte Gozi, der französisch-italienische EU-Abgeordnete.
Bisher hat der britische Premierminister jedoch noch nicht dargelegt, was dieser Neustart in Bezug auf die Verhandlungsziele wirklich bedeutet.
Gozi ist sich sicher, dass die EU diese Aufgabe nicht für ihn übernehmen wird.
„Was bedeutet Neustart?“, fragte Gozi. „Es besteht die Möglichkeit, mit unseren britischen Freunden eine neue Phase einzuleiten, aber es liegt nicht an uns, zu definieren, was dieser ‚Neustart‘ in der Praxis bedeutet: Das liegt bei ihnen.“
Sandro Gozi ist der neue Co-Präsident der Parlamentarischen Partnerschaftsversammlung EU-Vereinigtes Königreich (PPA). Ein Forum, das nach dem Brexit gegründet wurde, um die Zusammenarbeit zwischen europäischen und britischen Abgeordneten zu fördern. Zu den Zielen der EU-Delegation gehört es, sicherzustellen, dass das unterzeichnete Handels- und Kooperationsabkommen (TCA) von 2020 vollständig umgesetzt wird.
„Es ist unerlässlich, ein neues Arbeitsumfeld zu schaffen und das gegenseitige Vertrauen zu stärken.“ Laut Gozi kann das nur auf eine Weise erreicht werden: durch die wirksame Umsetzung der derzeitigen Vereinbarungen, insbesondere in Bezug auf die Grenze zu Nordirland und die Fischerei.
„An erster Stelle steht das Handels- und Kooperationsabkommen. Parallel dazu können wir über eine neue Partnerschaft nachdenken“, erklärt er.
Im „Zuhörmodus“
Der diplomatische Austausch zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich hat sich seit der Wahl von Starmer intensiviert. Im Spätsommer traf sich der Premierminister bilateral mit wichtigen EU-Partnern in Berlin, Paris und Dublin und war im Oktober in Brüssel, um mit der Kommissionspräsidentin, Ursula von der Leyen, zu sprechen.
Beide einigten sich darauf, in der ersten Hälfte des Jahres 2025 einen EU-UK-Gipfel zu organisieren. Vor wenigen Jahren wäre diese Entscheidung noch undenkbar gewesen, als die konservativen Regierungen des Vereinigten Königreichs die EU verunglimpften und stattdessen auf ein zukünftiges, pro-amerikanisches „Global Britain“ setzten.
Gozi wird voraussichtlich nächste Woche (28.-29. Oktober) zusammen mit anderen Ausschussmitgliedern für internationalen Handel (INTA) des EU-Parlaments in London sein, um sich mit Botschaftern, Ministern und Parlamentariern zu treffen.
„Ich werde zuhören“, sagte er und hofft, „besser zu verstehen“, was die Briten sich wirklich von einer neuen Beziehung erhoffen.
Das soll jedoch nicht heißen, dass der Franko-Italiener keine eigenen Vorstellungen davon hat, wie ein künftiges Abkommen aussehen könnte.
Grenzüberschreitende Mobilität von Jugendlichen möchte Grozi besonders erkunden, da die EU dem Vereinigten Königreich dazu bereits Gespräche angeboten hat. Außerdem sei London ein erstklassiger Partner, wenn es um Sicherheit „im weitesten Sinne des Wortes geht: Verteidigung, aber auch Klimasicherheit und Migration“.
Er glaubt auch, dass beide Seiten der Europäischen Politischen Gemeinschaft (EPG) weitere Impulse verleihen können. Emmanuel Macron rief vor zwei Jahren dieses neue diplomatische Instrument ins Leben, um den Einfluss der EU auf die Nachbarstaaten auszuweiten. Im Juli war das Vereinigte Königreich Gastgeber des jüngsten Gemeinschaftsgipfels.
Melonis „Propaganda“
Ebenfalls ein Thema ist die Migration, das auf beiden Seiten des Ärmelkanals für hitzige Debatten sorgt. Dazu schlägt Gozi einen besonneneren Ton an: „Starmer war zu sehr darauf erpicht, Giorgia Meloni zu treffen und das italienisch-albanische Abkommen als Modell zu nutzen“, warnte er.
Starmer war im September in Italien, um die Arbeit der rechtspopulistischen italienischen Ministerpräsidentin zu loben, die die Zahl der Neuankömmlinge auf dem Seeweg erheblich reduziert hat. Zudem bekundete er sein Interesse an dem italienisch-albanischen Abkommen. Das Model sieht vor, dass auf hoher See abgefangene Migranten in albanische Auffanglager gebracht werden, um dort ihre Asylanträge zu bearbeiten – noch bevor sie EU-Boden betreten.
Das Abkommen, das erst vor einer Woche in Kraft trat, wurde von einem italienischen Gericht für ungültig erklärt, da es Risiken für die Grundrechte der Migranten bei einer Rückführung in ihre Herkunftsländer sieht.
„Ich wäre vorsichtiger gewesen“, sagte Gozi und erklärte gegenüber Euractiv, Starmer sei Melonis „Migrationspropaganda“ zum Opfer gefallen.
Der EU-Abgeordnete wünscht sich sehr eine „verstärkte Zusammenarbeit“ mit dem Vereinigten Königreich in Migrationsfragen. Bedingung für eine Partnerschaft sieht Gozi jedoch darin, dass London keine Pläne wie das Abkommen zwischen Italien und Albanien oder die Idee zwischen dem Vereinigten Königreich und Ruanda weiterverfolgt.
„Ich werde die Propaganda [der italienischen Regierung] nicht unterstützen“, erklärte er.
Frankreich und Deutschland haben im Sommer einen Brief verfasst, in dem sie die Kommission aufforderten, ein Verhandlungsmandat für ein Migrationsabkommen zwischen der EU und dem Vereinigten Königreich zu eröffnen. Wie Euractiv enthüllte, wurde der Brief nicht offiziell verschickt, aber er zeigt, dass die EU-Mitgliedstaaten daran interessiert sind, ihre Beziehung zum Vereinigten Königreich in Migrationsfragen zu überdenken.
„Wir sind mit der Umsetzung des Migrationspakts beschäftigt“, sagt Gozi. „In der Zwischenzeit wissen wir nicht, ob Migration überhaupt Teil von Starmer’s ‚Neustart‘ ist. Also warten wir ab.“
[Bearbeitet von Owen Morgan/Kjeld Neubert]