Liebe Freunde, ich habe in letzter Zeit ein Interesse an der Österreichischen Gesetzgebung entwickelt und mir entsprechend ein paar Sitzungen aus dem Nationalrat angesehen. Die Vorgänge einer Nationalratssitzung kommen mir dabei aber sehr schwammig vor, um genauer zu sein:

Es ist zulässig einfach nicht anwesend zu sein. Das kann viele Gründe von gesundheitlicher Verhinderung bis zum Auslandsaufenthalt haben. Abwesende Personen benennen eine Vertretung die dann an deren Stelle abstimmt. Interessant wird es aber bei zwischenzeitlichen Abwesenheiten, z.B. wenn jemand am WC ist. Wenn eine Person den Saal verlässt verliert diese ihr Stimmrecht in laufenden Abstimmungen. Das scheint sogar im Nationalrat nicht ganz angekommen zu sein. Dazu ein direktes Beispiel hier: https://www.parlament.gv.at/aktuelles/mediathek/XXVII/NRSITZ/270 (TOP24, 29:18) "Es gibt keine Regel, dass wenn jemand hereinkommt, das noch gezählt wird. Gibt es nicht". Da dies quasi zwangsläufig regelmäßig passieren muss, kann das für mich nur bedeuten, dass diese Regel nicht konsequent umgesetzt wird, und man halt einfach versucht doch noch eine Stimme hinein zu quetschen und wenn’s keinem auffällt gut, wenn nicht dann nicht. Das scheint mir ganz klar dem obersten Gremium der Demokratie unwürdig.

Was mir außerdem sauer aufstößt ist die unklare dokumentation des Abstimmungsprozesses. Der Vorsitzende gibt ein Thema zur Abstimmung frei und erklärt welche Mehrheit notwendig ist (>50% für normale Gesetze, >2/3 für Gesetze mit Verfassungscharacteristiken). Es wird dabei üblicherweise nicht dokumentiert wer abstimmt und welcher Prozentsatz erreicht wurde. Das wäre für die Öffentlichkeit in Sachen Verwantwortung ein enorm wichtiger Bestandteil der Abstimmung ("Partei X hat sich für Y eingesetzt, aber hat dann dafür nicht abgestimmt"). Protokolliert wird ausschließlich das Ergebnis.

Die Zählung selbst wird ebenfalls nur von Helfern durchgeführt die einfach die stehenden Abgeordneten abzählen. Sogar im Saal selbst gibt es keine möglichkeit die Korrektheit der Zählung ad-hoc zu kontrollieren, da auch hier keine Zahl bekannt gegeben wird sondern ausschließlich das Ergebnis. Scheinbar glaubt man der Zählung einfach. Zusätzlich ist dieser Prozess enorm ineffizient und beansprucht sehr viel Zeit. Im oben genannten Tagesordnungspunkt der für ca. 35 Minuten behandelt wurde, beanspruchte die Zählung alleine fast 7 Minuten. Bei 183 Abgeordneten macht das in Summe über 21 Arbeitsstunden aus, in denen nichts produktives passiert.

Für mich als Bürger gibt es genau eine Möglichkeit die Korrektheit der Abstimmung nach zu vollziehen, und das ist die Aufzeichnung zu schauen und selbst zu zählen. Das ist allerdings ebenfalls nicht möglich da die Kameraeinstellung nicht den gesamten Saal abbildet und gewisse Sitze z.B. hinter der Brüstung der oberen Ränge verschwinden. Transparente Demokratie ist etwas anderes.

Suderei vorbei? Ich weiß auch nicht ganz worauf ich hier hinaus will, aber ich bin von unserer Demokratie mal wieder enttäuscht.

Nationalrat: undurchsichtige Abstimmungen?
byu/nitowa_ inAustria



Von nitowa_

4 Comments

  1. anyOtherBusiness on

    Im Prinzip hast du Recht, in der Realität ist es aber komplett egal, weil innerhalb einer Partei eh alle gleich abstimmen. In Wirklichkeit würde es bei Abstimmungen reichen, wenn pro Partei der Vorsitzende sagt, wie seine Partei abstimmt, dann kann man sich das Verhältnis Anhand der Sitze ausrechnen. Bei Abstimmungen wo’s eng ist oder um Verfassung o.ä. geht sind meistens eh quasi alle anwesend, da schauen die Klubs schon drauf.

    Sonst ist es halt meistens Regierungsparteien gegen Opposition, da ist auch klar wer die Mehrheit hat.

    Meiner Meinung nach sollten alle Abstimmungen geheim sein um so den Klubzwang nicht zu haben. Wird aber nie kommen, weil sonst die Parteien ihre Abgeordneten nicht mehr unter Kontrolle haben.

    Und am besten auch gleich automatisiert ausgewertet.

  2. Im Prinzip brauchst gar keine Abstimmungen. Vorlage von der Opposition (Minderheit) eingebracht -> abgelehnt
    Vorlage von der Regierung eingebracht -> Zustimmung

    Einzig bei 2/3-Mehrheitsbeschlüssen wird es komplizierter, aber da die Klubs immer nur gesammelt aufstehen oder sitzen bleiben brauchst nicht zählen.

    Mich würde interessieren, mit wie viel weniger Abgeordneten, immer dieselben Ergebnisse herausgekommen wären, kann man sicher nachrechnen.
    Ich behaupte, dass 11 Abgeordnete die “magische” Zahl ist.

    Es kam ja schon vor, dass, aufgrund von Abwesenheiten, die Kräfte verschoben waren und sich im Nachhinein herausgestellt hat, dass das Abstimmungsergebnis anders ausgesehen hätte.

  3. Liegt an der Geschäftsordnung des Nationalrats.

    § 51 Abs 4 Geschäftsordnungsgesetz: “Das Protokoll hat ausschließlich zu verzeichnen: die in Verhandlung genommenen Gegenstände, die zur Abstimmung gebrachten Fragen, **das Ergebnis der Abstimmungen** […]”

    Daher nur das Ergebnis der Abstimmung für uns bekannt.

    § 66 Abs 1 leg cit: “Die Abstimmung findet in der Regel durch Aufstehen und Sitzenbleiben statt.”

    Die weiteren Abs erlauben detailliertere Abstimmungen mit Aufzeichnung des Abstimmungsverhalten, aber dass muss auch erst explizit verlangt werden.

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